Indische Hektik und Gelassenheit

Unsere Rabeneltern haben die dritte Station ihrer Indienreise erreicht: Die Millionenmetropole Pune. Ecki Franke lässt uns wieder „lebhaft“ an den Erlebnissen der Gruppe teilhaben!


Pune 22.02.20 bis 26.02.20

Am Samstagmorgen brachen wir von unserem kurzen Wellnessaufenthalt in Matheran auf nach Pune. Um 10 Uhr wurden unsere Koffer von sechs bis sieben Lastenträgern abgeholt, die die Koffer mehr oder minder sicher auf einem Handkarren verstauten und sich dann mit dem Karren auf den beschwerlichen Weg über die mit Steinen übersäten staubigen Wege hinab zum Eingangsbereich des Naturreservats machten. Gebremst wurde dabei durch zwei hinten an den Handkarren gebundene und geknotete Stofffetzen.

Wir gingen entlang der Bahnschienen zurück zum Eingangsbereich des Naturreservats. Dort empfing uns die inzwischen schon fast üblich gewordene Hektik, hier gesteigert durch den Verkehr am Wochenende. An- und abreisende Taxen und andere Fahrzeuge, zahlreiche umherlaufende Besucher, Taxifahrer, Gepäckträger, lautes Hupen, Stimmengewirr, während man immer auf der Hut sein musste, vor den jederzeit auf Essensuche befindlichen Affen. Eine Situation, die noch vor einer Woche bei mir enormen Stress ausgelöst hätte. Inzwischen hatte sich jedoch die gewisse indische Gelassenheit eingeschlichen, ein inneres „Oooohmmm“ hatte von mir Besitz ergriffen….

Zunächst mit Taxen, dann mit unserem gemieteten Bus ging es nach Pune, einer aufstrebenden Stadt mit (in der Agglomeration) ca. 6 Millionen Einwohnern, die im Landesinneren ca. 150 km von Mumbai entfernt liegt. Dort setzten wir Avan am Haus ihrer Mutter ab. Dieses liegt unmittelbar neben dem Osho Meditationszentrum. Osho ist die Nachfolgeorganisation der Bhagwan Bewegung, die in den 80er Jahren auch bei uns vor allen Dingen durch die Bhaggi-Discos in vielen Großstädten, sowie orange gewandete hippieartige Wesen mit komischen Ketten und entrücktem Blick bekannt wurde. Der ehemalige Guru der Bhagwani sammelte Rolls-Royces wie andere Leute Briefmarken, wurde jedoch später verhaftet. Inzwischen ist das Osho Zentrum eine Art Wellness-Meditations-Tempel für Sinn suchende aus aller Welt.

Etwas erschöpft kamen wir im modernen Hotel an, dessen Rezeptionist trug passender Weise den Namen „Moin“ 😜. Das Hotel hatte eine fantastische Dachterrasse mit Bar und Pool, die einen großartigen Blick über Pune ermöglichte.

Abends gönnten wir uns dann in dem von Avan empfohlenen italienischen Restaurant Dario’s ganz in der Nähe einmal europäisches Essen.


Am nächsten Morgen brachen die meisten von uns zu einer ausgiebigen Shoppingtour auf. Dabei benutzten sie das sogenannte Tuk-Tuk (von einigen wenig sprachlich desorientierten auch Tic Tac genannt), ein kleines, sehr wendiges halboffenes Fahrzeug auf drei Rädern, indem hinten drei Leute sitzen können.

Das Ganze ist spottbillig. Fast für jede Tour zahlt man nur etwa 100 Rupien (1,20€). Selbst wenn ein Fahrer für die Rückfahrt mal eine Stunde warten soll, waren nur 200 Rupien fällig. Geshoppt wurde in dem von fast allen geschätzten Fabindia oder es wurden Seidenblusen und andere Stoffe erworben, die in Indien bei guter Qualität besonders günstig sind.

Am Nachmittag war die gesamte Gruppe von Avans Mutter zu Tee, Kaffee und indischen Spezialitäten eingeladen. Dazu kamen ein paar Freunde von Avan. Vor allem die 92-jährige, dabei nach wie vor sehr agile, interessierte und besonders humorvolle Mutter hat es uns allen angetan. Stolz zeigte und erläuterte sie uns ihre Ahnenbilder. Aber auch sie genoss sichtlich die große Gesellschaft aus Deutschland. Holger wollte sie gleich adoptieren….

Abends gingen dann einige noch mit Avan und ihrer Mutter, die auch dazu nach dem Besuch selbstverständlich mitkam, in das klassische Konzert einer portugiesischen Pianistin. Andere versuchten sich noch einmal an der indischen Küche, wobei Norbert mit seinem würzigen Ziegenhirngericht in Sachen Entdeckerlust schon ganz weit vorne mit dabei war. Optisch und geschmacklich aus meiner Sicht aber eher grenzwertig.


Am Montag fuhren wir mit unserem Bus mit den gewohnten gewagten Überholmanövern, aber immer sicher (nach Angaben des Busfahrers hat er noch nie einen Unfall gehabt) aufs Land. In einem kleinen Dorf berichtete uns ein mit Avan befreundetes Ehepaar über ihre NGO. Die beiden waren früher Assistenten von Avans inzwischen verstorbenem Vater, der in Indien durch die Entwicklung von plastischer Chirurgie insbesondere für Leprakranke und die Entwicklung von Gesundheitsvorsorgesystemen in Kommunen auf dem Land Bekanntheit erreicht hat. Beide Eheleute waren und sind nach eigenem Bekunden überzeugte Sozialisten und haben im Jahre 1987 ihre eigene NGO gegründet, die im wesentlichen Projekte für die Stärkung der Rechte der Frauen in kleineren Dörfern entwickelt, betreut und finanziert. Beeindruckend war mit welchem Engagement und welchen Kampfgeist die beiden immer noch für ihre Ziele eintreten und dies zu ihrer Lebensaufgabe gemacht haben. Die Projekte befassen sich bspw. mit der häuslichen Gewalt gegen Frauen, der Gewährung von wirtschaftlichen Hilfen für Frauen (Mikrokrediten) oder sorgen sich beispielsweise darum, dass auch die Frauen in die Grundbücher als Miteigentümer ihrer Familienhäuser eingetragen werden. Deutlich wurde bei dem Vortrag insbesondere, wie schwierig es ist, etwa aus der Spirale der häuslichen Gewalt herauszukommen: Für den Fall, dass sich die Frau entschließt, Anzeige zu erstatten und gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, wird sie innerhalb der dörflichen Gesellschaft geächtet. Vor diesem Hintergrund versucht die NGO unter Hinzuziehung der Familie des Ehemanns andere, für die Frauen oft bessere im Rahmen einer Art Mediation zu erzielen.

Auf Bitten von Holger besuchten wir noch kurz eine Grundschule, in der parallel 3 Klassen von 2 Lehrern unterrichtet wurden. Die Kinder hatten totalen Spaß an der willkommenen Unterrichtsunterbrechung. Die Lehrer dürften bestimmt eine Stunde gebraucht haben, um wieder Disziplin in die Truppe zu bekommen.

Nach dem Mittagessen fuhren wir noch zu einer zweiten NGO, die den Namen von Avans Vater trägt (Dr. Antia Stiftung). Die Stiftung versucht in Anlehnung an dessen gesundheitspolitische Ansätze in den dörflichen Strukturen Gesundheitsvorsorge zu betreiben. So hatte die Stiftung beispielsweise für das ganze Dorf eine Statistik mit Body-Mass-Indices gemacht, um messen zu können, bei wem eine Adipositas vorliegen könnte (deutlich geringerer Prozentsatz als bei uns) und wer demnach über gesündere Ernährung aufgeklärt werden müsste. Darüber hinaus haben die Frauen der NGO mit ihrer charmanten Art auch dafür gesorgt, dass etwa von Bluthochdruckpatienten auch täglich die erforderliche Medikation eingenommen wird. Es war beeindruckend, mit welcher Leidenschaft und Hingabe die Frauen von ihrer Arbeit berichteten. Die Männer traten da doch sehr stark in den Hintergrund und gaben dann auf Nachfrage auch zu, dass diese Arbeit wohl auch besser von Frauen des Dorfes erledigt wird, damit es klappt. Wie so häufig in letzter Zeit hat man auch hier den Eindruck, dass gesellschaftliche Fortschritte insbesondere durch engagierte Frauen erzielt werden…

Zum Schluss zeigten die Frauen uns noch die Krankenstation, die für 60.000 Bewohner der Region eingerichtet ist und an der täglich zwei Ärzte praktizieren. Unser Besuch war sicher ein großer Tag für das ganze Dorf; auch für uns alle war es ein sehr, sehr spannender Tag, der viele Einblicke in das indische Alltagsleben und das Gesundheitssystem verschaffte.


Am darauffolgenden Tag erwartete uns der zweite sportliche Höhepunkt, das Hockeyspiel in Pune. Leider hatte sich zwischenzeitlich unsere Mannschaft deutlich dezimiert. Möglicherweise aufgrund des Mittagessen am Vortag hatte sich ein heftiges Magen-Darm-Virus breit gemacht, das in unterschiedlicher Intensität und Länge nach und nach ca. die Hälfte unserer Gruppe erfasste, sodass Justus, Ann Kristin, Julia und auch ich nicht an dem Spiel teilnehmen konnten. Die hausärztliche Versorgung mit Zimmervisite, Bananen- und Colazufuhr sowie Medikamentengabe klappte jedoch bestens.

Nach den übereinstimmenden Berichten fast aller war das Spiel dann völlig anders als im Bombay Gym Club, vielleicht jedoch sogar noch schöner. Gespielt wurde auf einem Polizei-Sportgelände. Der Platz war knochentrocken und wies lediglich noch mikroskopische Ansätze von Rasen auf. Der Bus konnte zunächst das Gelände nicht finden. Daraufhin wurde unser Bus jedoch von Motorrädern eskortiert zum Platz gebracht, wo zum Erstaunen aller etwa 150 bis 200 Zuschauer warteten. Schulklassen und Polizeianwärter standen am Spielfeldrand. Jugendliche oder junge Erwachsene, Auswahlspielerinnen- und -spieler gehörten ebenso, wie ein ehemaliger Olympionike von Barcelona 1992 zum gegnerischen Team. Netterweise wurde unser Mittelfeld von drei läuferisch und stocktechnisch starken Indern unterstützt.

Stefan lief bei seiner Ansprache wieder zu Hochform auf. Untermalt von hinreißender Wellengestik wählte er einen fast schon philosophischen Ansatz und erläuterte anhand des zweiten Spiels von uns die Unterschiede zwischen einmal, zweimal und dreimal (einmal ist keinmal, zweimal ist einmal und dreimal ist immer). Ist klar, oder?

Das Spiel endete dann durch die tatkräftige Unterstützung der Inder 3:2 für unser Team.

Schon während des Spiels betätigte sich Stefan als Entertainer der Schulklassen und versuchte das Schleswig-Holstein-Lied mit ihnen zu intonieren. Ann Kristin, die trotz Erkrankung 2 Minuten spielte, wurde wie auch fast alle anderen zum begehrten Selfie-Objekt und Anne nahm für ein Foto beherzt den in die Jahre gekommenen Olympioniken an die Hand, der sich im siebten Himmel fühlte. Bei allem schaute Avan’s Mutter begeistert zu.

Kurzum: Das war ein Event, bei dem der sonst manchmal abgedroschen wirkende Satz von dem verbindenden Element des Sports, nach den Berichten aller total passte. Das Können der jungen Spielerinnen und Spieler hat aber auch gezeigt, dass Indien wieder auf dem Weg zu einer großen Hockeynation ist. So klang der zweite Hockeytag mit dem großartigen Gefühl aus, etwas ganz Besonderes erlebt zu haben.

Abschließend noch ein Wort zu unseren Selfie-Erfahrungen. Absolute Selfie-Königin war Julia, die ständig von jungen und älteren Inderinnen mit der Bitte um Selfies umringt wurde. Hans verhandelt gerade die Konditionen für ihren Bollywood-Vertrag. Aber auch in Deutschland eher unauffälligere Charaktere wie Munki wurden hier mitunter zu Selfie-Stars. Sein Kommentar dazu: „An meinen Haaren lag es bestimmt nicht“.

Fortsetzung folgt!