Neuigkeiten aus Indien
Neue Erlebnisse von unseren Rabeneltern, die derzeit in Indien unterwegs sind, geschildert von Ecki Franke.
Montag, den 17.02.20
Nach dem erfolgreichen Spiel am Vorabend begaben wir uns am Montagmorgen zu der Bahnstation Churchgate, um mit zwei Guides den größten Slum Asiens zu besuchen.
Das Bahnfahren ist in Indien ein Abenteuer. Die Züge halten lediglich ca. 20 Sekunden an jeder Station. Innerhalb dieses Zeitraums muss jeder ein- und ausgestiegen sein, was angesichts der Masse an Menschen nicht immer ein einfaches Unterfangen ist. Die Türen sind während der Fahrt geöffnet. Dieses hat den positiven Aspekt einer gewissen Frischluftzufuhr, führt jedoch allein in Mumbai zu 6 bis 7 Verkehrstoten pro Tag.
Den Slum den wir besuchen heißt Dharavi. Er hat schätzungsweise 750.000 bis 1 Million Einwohner, wobei die Zahl nie ganz genau bestimmbar ist. Die allermeisten von ihnen wohnen auf einer Fläche von unter 10 Quadratmetern. 97% der Wohnungen haben keine eigene Toilette; es gibt lediglich 700 öffentliche Toiletten. Den Belegungsgrad dieser öffentlichen Toiletten und die daraus resultierenden hygienischen Zustände kann sich jeder selber ausrechnen.
Allein in Mumbai gibt es ca. 2.000 Slums. Dharavi gilt als einer der „besseren“ Slums. Dort gibt es zumindest Geschäfte, ein paar Restaurants und sogar eine Bank. Es haben sich auch einige Wirtschaftszweige etabliert, wie beispielsweise die seit mehreren Generationen betriebene Töpferei, die Aufarbeitung von Lederhäuten oder auch die Verwertung von gesammeltem Plastikmüll durch Einschmelzen. Trotz dieser gewissen Struktur, die zumindest in Dharavi vorhanden ist, erschreckt einen bei der Führung die dort vorhandene Mixtur aus bitterer Armut, den jedenfalls für deutsche Hygienebehörden und Berufsgenossenschaften unhaltbaren hygienischen und arbeitstechnischen Zuständen, sowie den einen ständig umgebenden Gerüchen. Der neben dem Slum befindliche Fluss ist als solcher kaum noch erkennbar und voll mit Plastikmüll und z.T. giftigen Abwässern aus den dort tätigen Kleinunternehmen. Manche von uns gönnten sich nach dem Besuch des Slums erst einmal eine Ruhepause, um die Eindrücke zu verarbeiten…
Abends besuchten wir Kay, einen Cousin von Avan, der mit seiner Frau ganz in der Nähe unseres Hotels wohnt. Dort betreiben sie ein altes Art-Deco Kino. Wir erhielten eine Führung durch das Kino und waren erstaunt, dass in Indien vor jeder Kinovorstellung die indische Nationalhymne gespielt wird, während alle Zuschauer im Kinosaal aufstehen. Kay und seine Frau empfingen uns sehr herzlich und hatten sogar einige fantastische schmeckende indische Leckereien vorbereitet. Es gab kleine Ansprachen von Avans Cousin und Stefan (Stefan, du machst das immer wieder großartig). Der Abend klang dann in der Hotelbar bei Gin Tonics aus. Einige feierten noch in Björn 43. Geburtstag auf der Terrasse des Zimmers von Felix und Heiko hinein.
An dieser Stelle muss auch schon einmal der wahnsinnige Einsatz und das Organisationstalent von Avan gelobt werden, wobei es schwierig ist, für ihre Leistungen überhaupt angemessene Worte zu finden. Was sie und ihre Familienmitglieder uns in Indien geboten haben, war einfach fantastisch. Avan hat dabei nicht nur mit Anne, Alex und Holger ein kaum zu toppendes Reiseprogramm erarbeitet, sondern auch einzelnen Mitgliedern der Gruppe individuelle Reiseerlebnisse ermöglicht. So habe ich durch die Führung des 96jährigen Großonkels von Avan, einem sehr rüstigen und humorvollen ehemaligen Anwalt, gemeinsam mit seiner Enkelin Kathi einen Einblick in den Royal High Court in Mumbai bekommen.
Justus hat sie kurzerhand ein Segelabenteuer in der Bucht von Bombay ermöglicht. Avan, hierfür ist Dir gar nicht genug zu danken!
Dienstag, den 18.02.20
Wieder so ein Tag der Gegensätze. Morgens begaben sich die meisten nach Dhobi Ghat, der größten Outdoor-Wäscherei der Welt. Dort werden von den meisten Hotels Mumbais Kleidungsstücke gewaschen, an der Luft getrocknet und gebügelt. Für das Bügeln wird noch ein mit Kohle betriebenes, 6 Kilogramm schweres Bügeleisen eingesetzt, das bei uns wohl eher als Gewicht zum individuellen Fitness-Training eingesetzt werden würde. Die Arbeit in der Wäscherei wird meist von Landarbeitern vorgenommen, die vor der Armut auf dem Land in die Stadt flüchten. Unter miserablen Arbeitsbedingungen und für einen Hungerlohn verrichten sie die Arbeit in der Wäscherei. Ihnen wird eine Kiste zur Verfügung gestellt, in der sie ihr persönliches Hab und Gut unterbringen, und auf der sie nachts auch schlafen.
Auch der Weg zur Wäscherei war ein großes Abenteuer. Da unser Bus nicht zur Verfügung stand, wurden Taxen genommen. An einer Kreuzung verhakten sich Taxen, andere Autos und Motorräder zu einem nach unseren Maßstäben unauflösbaren Knäuel zusammen. Irgendwie schaffen es die Inder dann aber immer wieder, sich aus einem solchen Wirwarrr zu befreien und nach einiger Zeit fährt man weiter, ohne dass jemand ärgerlich geworden wäre oder sich beschwert hätte. Wie dieses Verkehrschaos in Mumbai täglich wieder neu bewältigt wird ist einfach faszinierend.
Nach dem Besuch der Wäscherei ging es in den Willingdon Club, einem sehr noblen Sportclub mit Golfanlage, Fitnessräumen und vor allen Dingen einem Schwimmbad. Den Besuch hatte uns Vikram, ein alter Freund von Avan, ermöglicht. Unsere Frauen sahen in ihrem verpflichtenden Badekappenoutfit züchtig, aber toll aus. Den Männern wurden die Badehosen beim Ausziehen von Clubangestellten fast schon aus der Hand weggerissen, um sie im Trockner wieder einsatzbereit zu machen.
Nach einem leckerem Essen und einem Bad brachte uns der Bus noch zum Diebesmarkt, einer Art Basar vor allem für Antiqitäten, aber auch für allen möglichen sonstigen Krimskrams. Daneben wurden live alte Autos in ihre Einzelteile zerlegt, Outdoor-Barbiere schnitten unter einem Sonnenschirm Haare; aus einer Ruine heraus, in der nur noch die Fassade stand, wurden Waren verkauft, während überall Ziegen und Schafe herumliefen oder -lagen und hupende Vespas einen aufschreckten. Das ganz normale chaotische und zugleich faszinierende Indien eben.
Mittwoch, den 19.02.20
Inzwischen hatte sich in unserer Reisegruppe leider auch ein Erkältungsvirus breitgemacht. Munki hatte es schon auf dem Hinflug bemerkt, es folgten – mit unterschiedlichen Intensitätsgraden – Björn, Sönke, Heiko, Felix, Avan, Inka, Stefan und Anne. Bei sechs mitreisenden Ärzten, einer überquillenden Reiseapotheke und ein wenig Laphroig Whisky aber kein Problem. Nach 2 bis 3 Tagen waren alle wieder einigermaßen fit.
Heute ging es nach Elephanta, einer Insel in der Bucht vor Mumbai, die für für ihre Shiva Tempel berühmt ist. Begeistert waren wir darüber, dass wir wieder von den gleichen Guides begleitet wurden wie in Dharavi. Zum einen Simwan, einer 21-jährigen sehr lebenslustigen und offenherzigen Inderin, die stolz von ihrer Hochzeit und den kleinen Tricks berichtete, wie sie potenzielle weibliche Konkurentinnen von ihrem Mann fernhielt. Zum anderen Rajneesh, einem sehr gläubigen Hindu, der jeden Tag an seinem persönlichen kleinen Schrein in seiner Wohnung meditierte.
Mit dem Boot ging es vom Gateway of of India zum Ausflugsziel nach Elephanta. Begleitet wurde das Boot von zahlreichen Möwen, die anders als bei uns ausdrücklich gefüttert werden sollten. Ein Verkäufer verteilte auf dem Deck Möwenfutter in Form von kleinen Kracks, die er der Reihe nach jedem gab, um sie den Möwen zum Füttern zu geben. Leider hatte ich dies nicht mitbekommen, freute mich über diese nette Aufmerksamkeit des gastfreundlichen Inders, griff beherzt zu und genoss das gut gewürzte Möwenfutter. Ok, die anderen hatten ihren Spaß, ich habs gar nicht so richtig gemerkt und habe bis jetzt keine schwerwiegenden gesundheitlichen Schäden davongetragen…
Auf Elephanta selbst zeigte uns der Führer die beeindruckenden, in den Stein gehauenen Höhlenskulpturen von Shiva, neben Brahma und Vishnu einem der Hauptgötter des Hinduismus. Daneben gibt es aber noch zahlreiche andere Götter, verschiedene Inkarnationen der Hauptgötter und deren Ehefrauen etc.pp
Irgendwann im Laufe der Erläuterungen des Führers merkte ich aber: Scheiße, jetzt bin ich raus. Mehr als 5 Inkarnationen von Shiva oder dessen Ehefrau konnte ich nicht mehr aufnehmen. Machte aber auch nichts, denn schon bald gab es glücklicherweise ganz weltliches Mittagessen. „Family Lunch“, sitzend auf dem Boden im sehr kleinen Haus der Familie des Guides in mensatauglichem Blechgeschirr eingenommen. Indien hautnah mit Familienanschluss, eine kluge Tourismusvariante, von der die verschiedenen Guides dieser Tour auf allen Ebenen profitierten.
Danach gings zurück nach Mumbai.
Die Abendgestaltung verlief dann ganz unterschiedlich: Einige gingen auf ein von Avan vorgeschlagenes Konzert mit indischer Sitar-Musik, begleitet von vielen verschiedenen Percussion-Elementen. Andere besuchten das sehr aufwändig gestaltete und in einem wunderschönen Gebäude aus dem 19. Jahrhundert beheimatete Prince of Wales Museum. Oder man ging einfach noch etwas Essen in einem der zahlreichen guten Restaurants unseres Viertels. Ein weiterer ereignisreicher Tag – der letzte in Mumbai – ging so zu Ende.
Fortsetzung folgt!